Sommer Uni Friedensbildung – Die Macht von Narrativen
9. November 2020, von Robert Steinbeck
Digital und international: Bei der diesjährigen Sommer-Uni Friedensbildung ging es um die Konstruktion und Macht von Narrativen. 30 Studierende aus Hamburg und Amsterdam beschäftigten sich mit Narrativen zu kollektiven Identitäten, gesellschaftspolitischen Erzählungen, persönlichen Geschichten, und den großen Fragen des Lebens: Wer sind wir, was macht uns aus, was prägt uns und wie hängt das alles miteinander zusammen?
Es war die vierte Sommer-Uni, die der Arbeitskreis Friedensbildung der Universität gemeinsam mit dem Center for Religion and Peace&Justice Studies der Freien Universität Amsterdam vom 21.- 26. September durchgeführt hat. Eigentlich sollte die Reise für die Hamburger Studierenden nach Amsterdam gehen. Durch die Covid-19-Pandemie fand die Summer-School nun Zuhause in unseren Wohn- und Arbeitszimmern statt. Was hätte dabei verloren gehen können - Nähe, Austausch, Begegnung. Es kam anders, nämlich die Erfahrung, dass auch im digitalen Raum Nähe im persönlichen Austausch und der gemeinsamen Arbeit an einem packenden Thema möglich werden kann. Das war der professionellen Gestaltung durch das Orga-Team und dem Engagement der Teilnehmer*innen bei der Kleingruppen- und Plenumsarbeit zu verdanken. Die Potenziale einer Vielzahl von Online-Portalen ermöglichte einen intensiven Austausch von Studierenden, Lehrenden und Gast-Dozierenden. Persönliche Lebensgeschichten miteinander zu teilen war spannend, aufregend, emotional und berührend. So viele unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen kennenlernen und eine ganze Woche Zeit haben, sich mit dem Gegenüber auseinander zu setzen, war eine einzigartige Erfahrung.
Ergänzt wurden unsere persönlichen Erzählungen durch einen theoretischen Input und aktuelle Forschungsergebnisse. Der Fokus lag dabei insbesondere auf Untersuchungen zu Narrativen zu Zugehörigkeit und Migration in Deutschland und den Niederlanden. Zu diesem Thema wurden zwei Gast-Professorinnen eingeladen. Rebecca Pates und ihr Team von der Universität Leipzig machte mit der Gruppe einen Workshop zu der Konstruktion von Identität und Nation. Ihre Forschung beschäftigt sich vor allem mit der Verbindung von Nationalismus und Klassismus. Sie zeigte uns damit anschaulich, wie mehrere Narrative korrelieren. Besonders anregend war auch die Zusammenarbeit mit Prof. Halleh Ghorashi (Freie Universität Amsterdam), die uns Zuschreibungen und Abgrenzungen erläuterte, die Migrant*innen erfahren. Der Workshop mit ihr bot eine Möglichkeit sich über Beispiele des Empowerment durch Narrative auszutauschen.
Eine besonders spannende und intensive Begegnung ermöglichte der virtuelle Museumsrundgang im Tropenmuseum in Amsterdam. Die Ausstellung arbeitet die Geschichte des niederländischen Kolonialismus und des Sklavenhandels künstlerisch auf. Im Anschluss an der "Rundgang" teilten einzelne Studierende aus Ghana und Holland ihre persönliche Verbindung zu dem Thema mit der Gruppe. Die Summer-School ermöglichte somit einen Austausch von Nachfahren von ehemaligen Kolonisatoren und Kolonisierten.
Ein weiterer Teil der Summer-School wurde von den Teilnehmenden selbst vorbereitet. In digital vernetzten Kleingruppen gestalteten wir Videos, die mit dem Thema "Narrative" verknüpft waren. Alle Videos zeichneten ein Bild der Emotionalität und der individuellen Kreativität und waren sowohl berührend, als auch ein Anstoß zum Nachdenken. Die Vielfalt und durchdachte Ausarbeitung der Projekte war angesichts der Umstände und der begrenzten Zeit besonders beeindruckend.
Durch die diverse Zusammensetzung der Gruppe und das wertschätzende Miteinander konnten wir voneinander lernen, miteinander diskutieren und uns auf Augenhöhe begegnen. Natürlich hat uns der informelle Austausch einer Begegnung am selben Ort sehr gefehlt, wir sind aber zuversichtlich, dass mensch sich zweimal im Leben sieht und freuen uns, alle Teilnehmenden irgendwann einmal persönlich kennenzulernen. Die Summer-School wird uns noch lange im Kopf bleiben - die vielen Eindrücke und Erlebnisse müssen erst verarbeitet werden, aber wir freuen uns schon darauf, sie zum Teil unseres eigenen Narrativs zu machen.
Hannah Friedrich und Janna Koop, Studierende im Curriculum Friedensbildung
Ausschnitt aus dem Video einer Gruppenarbeit zum Thema “unheard voices”
(Foto: Geke van Vliet, Amsterdam)